Stellwerksausfall in Friedberg – Chaos auf Main-Weser-Bahn zwischen Gießen und Frankfurt

PRO BAHN Mittelhessen sieht massive Fehler in Abläufen – im konkreten Fall aber auch Ergebnisse von grundsätzlich falschen Ansätzen bei ÖPNV-Organisation

Sonntag, 05.02.2017, 14:00 Uhr, eigentlich ein ganz normaler Sonntag, sogar die Sonne scheint ab und an, es ist trocken, keine Anzeichen von Wintereinbruch. Das anstehende Bundesliga-Lokalderby Eintracht Frankfurt gegen Darmstadt 98 um 17:30 Uhr in der Frankfurter Commerzbankarena lässt mehrere tausend zusätzliche Fahrgäste auch auf der Strecke von Kassel über Marburg und Gießen nach Frankfurt erwarten. Sogar ein Sonderzug steht in Marburg abfahrbereit. Es deutet eigentlich nichts auf eine Störung des normalen Verkehrsflusses im Zugverkehr hin, die Betonung liegt dann aber auf „eigentlich“.

Der Bahnhof in Friedberg - so wie hier auf dem Bild war ab dem 05.02. nachmittags erstmal Schluss. Die S-Bahnen der S 6 fuhren fortan nur noch bis Nieder-Wöllstadt.

Der Bahnhof in Friedberg – so wie hier auf dem Bild war ab dem 05.02. nachmittags erstmal Schluss. Die S-Bahnen der S 6 fuhren fortan nur noch bis Nieder-Wöllstadt.

Genau just in dem Moment, wo in Mittelhessen die doch recht zahlreichen Eintracht-Fans sich auf den Weg machen wollen, in Gießen, Marburg und Wetzlar und diversen Unterwegshalten in Mittelhessen an den Bahnhöfen stehen, zusammen eben mit Wochenendpendlern und anderen Reisewilligen – da kommt die Durchsage, dass wegen einer „Stellwerksstörung“ bis auf weiteres kein Zug nach Frankfurt (Main) Hbf. fährt. Große Ratlosigkeit, denn was nun? Die Bahnsteige sind insbesondere in Gießen voll, wie soll es weitergehen. In Gießen kommt dann über Lautsprecher ein Alternativvorschlag, man solle doch die Lahntalbahn bis Limburg nehmen und dort in den Regionalexpress nach Frankfurt fahren. Der Umweg wäre für die Fußballfans zu spät. In der Bahnhofshalle dann wildes Getuschel – schnell stellt sich raus. Es kann mit der Sperrung in Friedberg länger dauern, es hält sich die Aussage: „Das Stellwerk brennt“. Schnell werden es zunächst schon mal weniger Gestrandete, denn wer innerhalb Hessen sein Ziel hatte, ob Freizeit- bzw. Berufsreisender, der lief zum Auto und fuhr eben mit dem PKW an sein Ziel.

Fakt ist, es dauerte Stunden, bis sich überhaupt erstmal etwas bewegte. Zum aktuellen Fall weiter hinten im Text noch etwas mehr.

Es gibt aber auch andere Beispiele in der jüngeren Vergangenheit. Im Sommer 2015 stürzte am Abend ein Baum zwischen Gießen und Wetzlar nach einem Gewitterregen auf die Gleise. Die Strecke musste für den Rest des Tages bis in den anderen Morgen hinein gesperrt werden. Was war insbesondere passiert, der RE 99 war nun von Frankfurt (Main) Hbf. in Gießen angekommen und konnte nicht weiterfahren. Der Zug war mit Menschen voll besetzt, die einerseits in die Orte im Lahn-Dill-Kreis wollten aber auch weiter Richtung Siegen und andere Orte in Nordrhein-Westfalen. Zum Glück hat Gießen als Bahnhof der Kategorie 2 noch eine DB-Information, welche zu dem Zeitpunkt auch noch besetzt war. Es bildeten sich Schlangen und die Auskunft lautete: „Es kommen mehrere Busse von der Firma ……“. Der Verfasser dieses Artikels, selbst zu dem Zeitpunkt vor Ort, wunderte sich über den Namen des Unternehmens. Was stellte sich heraus, um die Uhrzeit war bei dem kleinen Unternehmen keiner mehr telefonisch zu erreichen. Man erreichte die Wetzlarerer Verkehrsbetriebe und die erklärten sich kurzerhand bereit, einen Teil der Stadtbusflotte, welcher schon im Depot war, für den Abend in Betrieb zu nehmen und die gestrandeten Fahrgäste mit dem Stadtbus bis nach Siegen zu fahren.

Nächster Fall, am 12.09.2016, ebenfalls in Mittelhessen und wieder mit Anwesenheit des Verfassers. Der um 18:23 Uhr in Kassel Hbf. startende Doppelstock-Regional-Express ist zwischenzeitlich kurz vor Stadtallendorf. Es erfolgt die Durchsage, dass der Zug in Stadtallendorf endet und nicht weiter fahren kann, weil erneut aufgrund höherer Gewalt mit Schaden bei Kirchhain die Strecke gesperrt ist. Die Menschen steigen in Stadtallendorf aus und kein seitens der Deutschen Bahn Verantwortung tragender Mensch wird vor Ort gesehen. In Stadtallendorf wird außer dem Fahrdienstleiter kein weiteres ständiges Personal mehr vorgehalten. Die Menschen stehen 2 Stunden herum, es kommt niemand. In den gestrandenen Zug hineinsetzen und abwarten, das ging auch nicht, denn er war zwischenzeitlich wieder in Richtung Kassel gefahren. Die die es nicht soweit bis nachhause hatten (bis geschätzt 80 km je Richtung), wurden von auch hier von ihren Familienmitgliedern abgeholt. Einzelne ergatterten ein Taxi, es fanden sich letztlich sich einander überhaupt nicht kennende Menschen in einem Taxi, um voran zu kommen. Gemeldet hat sich den ganzen Abend niemand mehr in Stadtallendorf.

Nun wieder zum konkreten Fall am 05.02.2017 in Friedberg. Zunächst hatte man die Umläufe auf der Main-Weser-Bahn (nach Norden) sowie der Dillstrecke inzwischen einigermaßen in den Griff bekommen. Dennoch, an normalen Fahrplanlagen war in dem Moment nicht mehr zu rechnen. Man kündigte seitens der DB an, bis „Montagmorgen“ (06.02.) wieder den normalen Fahrplan fahren zu können. Dieses Ziel wurde jedoch nicht gehalten. Am Montagvormittag hieß es dann, dass der Stellwerksausfall zumindest bis Mittwoch (08.02.) andauere. Zwischenzeitlich hat man diesen Zeitpunkt im Wochenverlauf unbefristet nach hinten verschoben. Die in Friedberg vorhandene Technik, welche der elektronischen Weiterschaltung nach Frankfurt dient, ist wohl derart stark defekt, dass es noch mehrere Tage dauern wird. Vielleicht wäre es unter den Umständen besser, man würde von vorn herein einen längeren Zeitraum festlegen, in dem es zu den Einschränkungen im Zugbetrieb kommt, z.B. bis zum Wochenende oder die Mitte der nächstfolgenden Woche. Dann könnten die Arbeiten in Ruhe und mit der nötigen Sorgfalt ausgeführt werden und der Fahrgast hätte auch Klarheit und könnte sich auf die Veränderungen einstellen. Allen ist damit geholfen, wenn Zeiträume so gewählt werden, dass sie auch einzuhalten sind.

Es kam wie es kommen musste, ab Montag, die ersten Pendler strandeten am dunklen Wintermorgen des 06.02. insbesondere in Gießen, je mehr die Hauptverkehrszeit anbrach, umso mehr ratlose Menschen standen an den Bahnsteigen und den Wartehallen. Sie strandeten nicht nur in der Universitätsstadt, sondern auch in Butzbach. Es war kein Durchkommen auf dem Gleis möglich. Erst im Tagesverlauf hatte man Busse beieinander, um mit 6 Transportgefäßen zwischen Butzbach und Nieder-Wöllstadt einen Schienenersatzverkehr einzurichten. Zudem ist dann im 60-Minuten-Takt ein Zug im Abschnitt Gießen-Butzbach-Friedberg-Wöllstadt unterwegs, der keinen Gleiswechsel benötigt. Aus technischren Gründen kann nur dieser 60-Minuten-Takt gefahren werden, wo ansonsten alle 10-30 Minuten ein Zug fährt. Wie will man so zehntausende Pendler und andere Reisende von Mittelhessen nach Frankfurt bringen? Es geht schlicht und ergreifend unter diesen Umständen nicht. Es müssten mehr Ersatzbusse zur Verfügung stehen aber keine der Nahverkehrsgesellschaften, kein Busunternehmer der Region kann überhaupt in nennenswertem Umfang Busse bereitstellen, die man eben mal übrig hat. Linienbusse werden eben nur gemäß Ausschreibung von Linienbündeln im für den Fahrplan nötigen Umfang beschafft.

Nun rufen die Menschen bei PRO BAHN an und stellen die Frage : „Warum kann denn die Bahn nicht mal einfach ausreichend Ersatzbusse bereitstellen?“ So unbedarft sind die Menschen, denn den gesellschaftlichen Wandel, dass in den letzten Jahrzehnten massiv Daseinsvorsorge auf der Strecke geblieben ist, dies geht leider in der aktuellen Debatte ebenso unter wie in anderen kurzfristig eintretenden Ereignissen. Es stehen eben, mit Ausnahme weniger Metropolregionen, in Deutschland nirgends entsprechende Kapazitäten an Bussen und Personal zur Verfügung. Man müsste theoretisch den normalen Linienbetrieb im Lokalbusverkehr kürzen, um dann den Schienenersatzverkehr zu ermöglichen. Wie auch immer geartete Verträge, die in diese Richtung tendieren, gibt es jedoch nicht.

Der Fahrgastverband PRO BAHN fordert, dass der Gesetzgeber die Rechtsgrundlagen dafür schafft, um bei unvorhergesehenen Ereignissen besser vorbereitet und gerüstet zu sein. Im Detail heißt dies, dass mehr Personal vorgehalten werden muss, welches in überschaubaren Zeiträumen selbst kleine Stationen anfahren kann, um vor Ort zu helfen. Dies bedeutet z.B., Fahrgästen Auskünfte zu geben, die Weiterfahrt mit Ersatzbussen oder Taxen, ggf. sogar Übernachtungsmöglichkeiten zu organisieren. Der vorweg beschriebene Fall in Stadtallendorf würde so in der Form nicht mehr auftreten. Des Weiteren bedarf es im Buskontingent mehrerer Depots mit „stillen Reserven“, so dass sie unmittelbar zur Verfügung stehen und nicht ansonsten im Linienbetrieb im Einsatz sind. Es ist klar, dass das Geld kostet. Hierzu muss aber der Wille seitens der Verantwortungsträger in Politik und Verkehrswirtschaft vorhanden sein, denn die aktuellen Einsatzpläne sind einfach völlig inakzeptabel.

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