Bei der S-Bahn Rhein-Main piept es ganz gewaltig

Fahrgastverband erhält einige Meldungen sich ärgernder Fahrgäste

In den letzten Tagen des Oktobers häufen sich die Beschwerden von Fahrgästen bei PRO BAHN über die nervigen Töne in den neuen S-Zügen der S-Bahn Rhein-Main. Es handelt sich allerdings noch nicht um einen der91 neuen Triebwagen der Baureihe (BR) 430, sondern um die ersten Einheiten seines Vorgängers, der BR 423, die bis zum Fahrplanwechsel 2014 einem umfassenden Redesign unterzogen werden, so dass sich beide Typen zukünftig kaum voneinander unterscheiden.

eue S-Bahn 2013 von hinten

Der neue S-Bahn-Zug 423, er „piept“ durchs Rhein-Main-Gebiet. Hier im Bahnhof Frankfurt-Hauptwache.

Wir als Fahrgastvertreter stehen derzeit vor einem großen Dilemma. Wir fordern immer wieder eine nahezu ausnahmslose Sicherheit des Betriebs und einen nahezu barrierefreien Zugang für Menschen mit Behinderungen, z.B. Blinde. Werden solche Maßnahmen dann umgesetzt, in diesem Fall durch die EG-Richtlinie über Technische Spezifikationen für die Interoperabilität (TSI), die das Eisenbahnbundesamt (EBA) quasi in nationales Recht umgesetzt hat, dann suchen solche Mitmenschen bei uns Unterstützung, die sich gestört oder belästigt fühlen. Besagte EG-Norm soll dabei unter anderem blinden Menschen dienen, sich in öffentlichen Verkehrsmitteln ohne fremde Hilfe leichter zurecht zu finden. Kurz vor dem Öffnen der Tür eines Eisenbahnfahrzeugs, muss danach ein durchgängiges, pulsierendes akustisches Signal von 3.000 Hz mindestens fünf Sekunden lang ertönen.Während des Schließvorgangshatdann ein schnell pulsierender Warnton von 1.700 Hz zu erfolgen. Beide Töne müssen einen Schalldruckpegel von 70 dbLAeq (Äquivalenter Dauerschallpegel) aufweisen, der im Fahrzeug in der Mitte des „Vorraums“ in einer Höhe von 1,5 Meter festzustellen ist.

Wenn man diesen Text interpretiert, dann ist die Vorschrift ganz offensichtlich für Eisenbahnwaggons gedacht, die zwei vom Fahrgastraum abgetrennten Einstiegsbereiche aufweisen, also für Schnellzüge, die im Schnitt nur alle 60 Minuten halten. Für solche Gefäße ist der Pegel der Warntongeber von 70 db angemessen. Für durchgängig begehbare Triebfahrzeuge ohne Trennwände und zwölf Türen auf 67 Meter, wasfür den ET 423 und den ET 430 zutrifft, ist der dabei von mehreren Quellen gleichzeitigausgehenderSchall als unerträglich zu bezeichnen, zumal dann, wenn der Zug alle zwei Minuten stoppt oder – noch gravierender – längere Zeit an Haltestellen verweilt und die Türen ständig in Bewegung sind.Ob das die Macher dieser Richtlinie in Brüssel seinerzeit bedacht haben?Ich denke nein und spreche als ehemaliger deutscher Experte eines Normungsgremiums bei der UN in Genf aus eigener Erfahrung: Bei der Normung der Europalette wurde als Beispiel schlichtweg nicht an die gegenüber normalen LKW geringere lichte Breite von Kühlfahrzeugen gedacht, was ein unermesslich großer wirtschaftlicher Schaden für die Industrie bedeutet hätte, hätte man hier nicht als Ergebnis eilig einberufener Konferenzen nachgebessert.

Neue S-Bahn 2013 - Bild 08-klein 400

Laut Berichten von Fahrgästen sollen bei Redaktionsschluss zwei aufgearbeitete S-Bahn-Fahrzeuge mit unterschiedlich lauten Warntönen unterwegs sein, der 423 430, der als extrem laut beschrieben wird, und der 423 301, bei dem die Lautstärke des Warntongebers als gerade noch tolerierbar bezeichnet wird. Alle Industrienormen beinhalten bekanntlich Toleranzwerte. Eine Forderung nach Abschaffung dieserneuen Vorschrift bei S-Bahnzügen dürfte keine Aussichten auf Erfolg haben. Deshalb richtet sich der Appel des Fahrgastverbandes PRO BAHN an den RMV, zusammen mit seinem Vertragspartner, der DB Regio Hessen, kurzfristig dafür Sorge zu tragen, dass die justierbare Lautstärke der Warntongeber auf den unterst möglichen Level eingestellt wird. Langfristig ist ein Vorstoß in Brüssel erforderlich, für durchgängig begehbare Gefäße ohne innere Raumabtrennung (compartment) und pro Fahrzeugseite mehr als zwei Türen auf 24 laufenden Meter eine Sonderregelung mit einen um x db geringeren Schalldruckpegel zu verabschieden.

Besteller und Betreiber der Bahnen in Deutschland sollten sich ihrer Verantwortung für die Gesundheit ihrer Fahrgäste bewusst sein. Wenn Kinder sich in unserer von Lärm geprägten Umwelt beim Ertönen des Warntons in der S-Bahn neuerdings die Ohren zuhalten, ist dies ein untrügliches Indiz dafür, dass Lautstärke und Tonfrequenzextrem schmerzhaft sein müssen. Kleinkinder, deren Gehör bekanntlich noch nicht vollständig ausgebildet ist, können sich dagegen nicht wehren und ggf. irreparable Schäden davon tragen, da die Kinderwagen nur im Mehrzweckabteil direkt neben der Tür abgestellt werdenkönnen. Da die Warntöne mit gleicher Lautstärke auch nach außen abgestrahlt werden müssen, wird es nicht mehr lange dauern, bis die ersten Beschwerden von Anliegern über nächtliche Ruhestörung vorliegen und der S-Bahnbetrieb nach 22 Uhr eingestellt werden muss.

Noch sind im Frankfurter Raum erst zwei der umgebauten 423-er unterwegs. Noch ist es also Zeit zu handeln. Übrigens, die vom gleichen Hersteller (Alstom) derzeit in Frankreich fabrikfrisch ausgelieferten U-Bahnzüge erfüllen die EG-Vorschriften offensichtlich ohne jede Abstriche, sonst hätten sie keine Zulassung erhalten. Die dortigen Töne werden von Besuchern aus Deutschland als angenehm und gerade noch hörbar empfunden.Warum neigen wir Deutsche eigentlich immer zu Übertreibungen und Überregulierungen? Ich gehörte als Normungsexperte jedenfalls nicht dazu und wurde nicht zuletzt deshalb von den Delegierten in Genf bis zu meiner Pensionierung über sieben Jahre lang jährlich neu zum Vorsitzenden einer Arbeitsgruppe gewählt und wir sind seinerzeit damit gut gefahren.

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