…der Takt stimmt noch nicht! PRO BAHN freut sich über das – verbale – Interesse der CDU am ÖPNV der Region. Für nachhaltige Kundenbindung reicht der Takt allerdings noch lange nicht: Worten müssen Taten folgen!

Kreis Bergstraße, 23.7.2017

Der Fahrgastverband PRO BAHN begrüßt das Interesse der CDU am ÖPNV in der Region [1]. Für das Umsteigen vom eigenen Pkw auf den ÖPNV stimmt der Takt allerdings noch lange nicht – nicht nur bei den Fahrzeiten. Trotz einiger Erfolge in der Vergangenheit machen fehlende Verbindungen und mangelhafte Tarifangebote den ÖPNV für viele Menschen immer noch unzugänglich.

Der Bahnhof Bensheim an der Bergstraße in Südhessen.

Der Bahnhof Bensheim an der Bergstraße in Südhessen.

Bus und Bahn an der Bergstraße sind im Laufe der Jahre besser geworden: Man bemüht sich aktuell um eine längst überfällige Modernisierung von Bushaltestellen [2], einige Verbindungen wurden im Angebot verbessert1, das neue hessenweite Schülerticket beglückt viele Eltern und Jugendliche [4] und erst kürzlich wurden Dynamische Fahrgastinformationssysteme in Bensheim am Bahnhof installiert (weitere sollen folgen [2]). Darüber hinaus kann sich auch eine vergleichsweise moderne Niederflurbus-Flotte im Kreisgebiet sehen lassen und ein Fahrgastbeirat wird als lokales Dialogforum Basis für zukünftige Gespräche zwischen den beteiligten Akteuren im ÖPNV bilden.

Das sind alles positive Entwicklungen in der Praxis, die wir als Fahrgastverband durchaus anerkennen und z.T. mit angestoßen haben. Setzt man sich jedoch vertieft mit der Materie auseinander oder testet das Angebot einfach mal in einem „Mobilitätspraktikum“ über einen längeren Zeitraum selbst, stellt man neben den Lorbeeren schnell die Schattenseiten fest: Barrieren bei elementaren Grundlagen belasten die bisherigen Erfolge und lassen sie leider letztlich als eher überfällig eingesammelte „low hanging fruits“ erscheinen.

„Für eine so prosperierende Region, in zentraler Lage zwischen zwei Metropolregionen, wird auf einigen Relationen im Kreisgebiet leider immer noch ein fast schon peinliches Angebot abgeliefert“, findet Peter Castellanos, Erster Vorsitzender des PRO BAHN-Regionalverbandes Starkenburg e.V. „In den nächsten Jahren muss man sich erst wichtigen Mängeln stärker widmen, ehe zu viel pauschales Lob ausgesprochen wird“.

Kleine Analyse

Der klassische ÖPNV kann im gewohnten Linienverkehr nicht alle Bedürfnisse befriedigen und steht unter Finanzierungsvorbehalt. weshalb das Zusammenspiel mehrerer Verkehrsmittel von elementarer Bedeutung ist („Multimodalität“). In einem multimodalen Verkehrssystem dient der ÖPNV als wichtige Rückfallebene und sollte daher einen möglichst breiten Kundenkreis durch ein offensives ÖPNV-Angebot erreichen. Dass dadurch Fahrgeldeinnahmen gesteigert werden können, wird oft vernachlässigt. Vertaktete Verbindungen zwischen Zentren, die an Verknüpfungspunkten Anschlüsse im Integralen Taktfahrplan herstellen sind ein Kernmerkmal dafür. Dazu müssen aber überhaupt erst Verbindungen auf bestimmten Relationen angeboten werden. Im Kreis Bergstraße hapert es daran noch erheblich, wie ein Reisezeitvergleich zwischen motorisiertem Individualverkehr (MIV) – also Pkw bzw. motorisierte Zweiräder – und ÖPNV2 auf vergleichsweise nachfragestarken Achsen ohne akzeptablen ÖPNV deutlich zeigt.

Es wurden beispielhaft Relationen zwischen zentralen Orten (Mittelzentrum oder Unterzentrum) ausgewählt, die nach Angaben der derzeit aktuellsten Verkehrsmengenkarte von Hessen mobil aus dem Jahr 20123 und eigenen Berechnungen4 mit über 2 000 Kraftfahrzeugen pro Tag (ohne Schwerverkehr) belastet sind. Liegt das Reisezeitverhältnis niedriger als 1,5 – also benötigt man für die gleiche Strecke weniger als 1,5-mal mehr Zeit als der MIV – so gilt es noch als „günstig“ [5]; liegt es darüber entsprechend negativer. Betrachtet man die problematischen Relationen im Kreisgebiet wird deutlich, dass es unzumutbare Zeitaufwände auf gut nachgefragten Strecken gibt.

„Doppelte bis dreifache Reisezeiten durch Netzlücken sind genauso wenig Garant für Neukunden, wie mobilitätseinschränkende Tarifgrenzen“, so Castellanos weiter. Gerade Tarifgrenzen verlangen viel Engagement der Länder und Verkehrsverbünde, um verkrustete Tarifstrukturen aufzubrechen. Doch auch eine Initiative von Seiten des Bundes kann die Verbünde zu mehr Tarifeinheit bewegen – etwa anhand einer entsprechenden fahrgastorientierten Rahmengesetzgebung. Den dringenden Handlungsbedarf zeigen uns neben eigenen Erfahrungen auch die Zuschriften von Fahrgästen, die das Bild einer verfehlten Tarifpolitik bestätigen. Die Möglichkeiten der Digitalisierung bzw. elektronischen Tickets werden offensichtlich nicht genutzt – jeder Verbund kocht hier sein eigenes Süppchen.

Zielgruppenorientierte Angebote werden aber gebraucht, um für Bewohner von „Grenzregionen“, wie dem Kreis Bergstraße bezahlbare öffentliche Mobilität anzubieten! Die bestehenden Strukturen bilden den Mobilitätsradius der hier lebenden Menschen nicht ab! Schon die fehlende Integration des Ruftaxis im bestehenden Tarifdschungel auf lokaler Ebene zeigt: Weder RMV-Dauerkartenbesitzer, noch VRN-Tageskarten-Inhaber können Ruftaxis zuschlagsfrei nutzen. Das steigende Aufkommen im Tourismus5 findet ebenfalls keinen Niederschlag im Tarifportfolio der Verbünde, z.B. in Form einer „Odenwald-Gästekarte“ die eine Nutzung von Bus und Bahn unabhängig von Verbundzonengrenzen für Übernachtungsgäste der Region erlaubte.

Dass mit diesem mangelhaften Gesamtkonstrukt keine neuen, insbesondere „wahlfreien“ Kunden erreicht werden können, überrascht wenig. Insofern teilen wir nicht die Aussage des CDU-Kreistagsvorsitzenden Oehlenschläger „Die Fahrgäste können sich auf den ÖPNV als Alternative zum Individualverkehr verlassen“. Wir empfehlen ein mehrwöchiges Mobilitätspraktikum für Entscheidungsträger, damit die Wahrnehmung der Probleme und positiven Seiten des ÖPNV in der Region auf ein ausgewogenes Niveau befördert werden. Tarifintegration und die Schließung von Netzlücken sind Schlüsselbegriffe, denen man sich u.a. im kommenden Nahverkehrsplan hoffentlich endlich umfangreich widmen wird.

Hier nicht zu handeln ist auch wirtschaftlich desaströs. Die Nachfrage an lokalem Nahverkehr muss zeitnah und kundenorientiert bedient werden!

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