Die Präsentation von Verklärungen durch Landesverkehrsminister Al-Wazir und RMV-Chef Ringat geht weiter. Seit langem geplante Investitionen werden erneut als Neuerungen dargestellt

Ein Bahnsteig der Main-Weser-Bahn in Mittelhessen. Für relativ viel Geld die Oberfläche erneuert, jedoch nicht auf 55 cm angehoben, um in die bis in die 2040er Jahre verkehrenden Züge einzusteigen.

Erneut laden der Hessische Verkehrsminister Al-Wazir und der Geschäftsführer des Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV), Ringat zur Präsentation ein und stellen die Fakten völlig verklärend dar. Weshalb die beiden Verkehrsvertreter im Bundesland Hessen fortwährend die Investition in die Schienenverkehrsinfrastruktur mit dem aus dem Handel bekannten Format der Werbeveranstaltung missbrauchen, diese Frage stellt der Fahrgastverband PRO BAHN schon seit mehreren Jahren. Unter den Vorgängern beider Herren war solch eine Vorgehensweise nicht bekannt und in anderen Bundesländern werde so auch nicht agiert.

Die Situation der Investition in die Schiene sei vielmehr katastrophal bis desaströs, was an einigen Beispielrn aufgezeigt werden könne. Bei dem Start des Ausbaus der Bahnstrecke Frankfurt-West-Bad Vilbel Ende 2016 wurde vorausgesagt, dass mit Ende des 1. Abschnitts unmittelbar der 2. Abschnitt Bad Vilbel-Friedberg zur Baureife gebracht sei und die Gesamtstrecke Ende 2027 in Betrieb gehen könne. Nun ist festzustellen, dass der 1. Abschnitt erst Ende 2023 fertig wird und nach aktuellem Stand die Bauzeit für den 2. Abschnitt von 2025 bis 2032 vorgesehen ist. Noch dramatischer ist die Lage, wenn man bedenkt, dass der Ausbau ursprünglich im Jahr 2000 abgeschlossen sein sollte.

Der Ausbau der Achse zwischen Frankfurt Stadion und Frankfurt Hbf. kommt nun auch mit einigen Jahrzehnten Verzögerung. Um Investitionskosten langfristig zu senken, müssten gerade im Bereich Frankfurt-Stadion viel mehr Bauvorleistungen erbracht werden, welche in der aktuellen Planung keine Berücksichtigung finden.

Mangelhaftes politisches Management wirft der PRO BAHN Landesverband Hessen insbesondere bei der Reaktivierung von Bahnstrecken vor. Al-Wazir stellt seit Jahren die Situation so dar, als seien erst in seiner Amtszeit seit 2014 die Reaktivierungsprojekte der Horlofftalbahn (Wölfersheim-Hungen) und Lumdatalbahn (Lollar-Londorf) entstanden. Fakt ist, es handelt sich um Ladenhüter, welche teils seit 40 Jahren durch Bürgerinitiativen offensiv eingefordert werden. Vielmehr kommt es fortwährend zu Verzögerungen. Eine ursprünglich für um das Jahr 2020 ins Auge gefasste Inbetriebnahme beider Strecken sagt aktuell frühestens das Jahr 2026 für die Horlofftalbahn und das Jahr 2029 für die Lumdatalbahn voraus. Eine Finanzierungsabsicherung ist bislang nicht gewährleistet. Die 2015 als bislang einziges durchgängiges Reaktivierungsprojekt außerhalb des S-Bahn-Netzes eröffnete Bahnstrecke Korbach-Frankenberg hatte Al-Wazir von seinem Vorgänger geerbt.

Es warten darüber hinaus noch 20-30 weitere reaktivierungsfähige Bahntrassen auf ein Planungsverfahren, wovon noch kein einziges Projekt seit 2014 in eine weitergehende Phase getreten ist. Vielmehr hat der schwarz-grüne Koalitionsvertrag die grundsätzlichen Entscheidungen den Landkreisen und Kommunen übertragen.

Als Zwischenfazit stellt PRO BAHN Hessen fest, dass fehlende Kompetenz von Politik und Verwaltung sowie mangelnde Kenntnisse der verkehrspolitischen Neuzeit, vor Ort dazu führen, dass Reaktivierungsideen zerredet werden, teilweise in Gefälligkeitsgutachten nach völlig überalterten Kriterien niedergerungen werden. Das Landesverkehrsministerium schweigt, anstatt durch Rechtsänderungen das Thema des Ausbaus des Schienennahverkehrs komplett zur Ländersache zu machen.

Auch im Bestandsnetz sieht es düster aus. Weiterhin belegt Hessen im Ranking der Barrierefreiheit den Platz 14 aller 16 Bundesländer. Als Sünde an mobilitätseingeschränkten Menschen bezeichnet PRO BAHN, dass Höhenunterschiede von 21 cm zwischen Fahrzeug und Bahnsteigkante als barrierefrei bezeichnet werden, um so die Prozentzahl barrierefreier Bahnhöfe zu manipulieren und den Menschen vorsätzlich ein falsches Bild zu verkaufen. Seit 2011 ausgebaute Bahnstationen in Hessen verfügen zu mehr als der Hälfe über diese Mangelerscheinung. Unterschiedliche Bahnsteighöhen neu ausgebauter Stationen in unmittelbarer Nachbarschaft sind überall in Hessen Realität. Hinzu kommt, dass aktuell Planungen umgesetzt werden, welche heute im Jahr 2022 nach Bemessungen von vor 20-15 Jahren erfolgen. Netzentwicklungen der Neuzeit sind für einige dieser im Ausbau befindlichen Stationen in keiner Weise berücksichtigt. Stationen, welche täglich unter 1.000 Fahrgäste aufweisen, sie sind ganz düster dran. Nur ein Anteil von gut 20% dieser Stationen können erwarten, dass in den nächsten 20 Jahren ein Ausbau erfolgt. Wer also auf dem Land lebt und mobilitätseingeschränkt ist, diese Menschen sind auf Hilfe von Nachbarschaft und Angehörigen wohl auch in den nächsten Jahrzehnten in Hessen angewiesen.

Leider hat Minister Al-Wazir in seinem Denken fast nur den sog. „Frankfurter Bogen“ und nicht das ganze Bundesland Hessen im Blick. Selbst im Ballungsraum gibt es Verzögerungen und teils keine optimalen Projektumsetzungen. Die Regionaltangente West (RTW) um Frankfurt herum wird voraussichtlich frühestens 2030 voll umfänglich befahrbar sein. Die Details der RTW im nördlichen Bereich sind immer noch nicht final geklärt. Die Nordmainische S-Bahn ist seit 50 Jahren geplant, wurde den Menschen für die 1990er Jahre angekündigt. Auch diese wird nach über 60 Jahren frühestens in den 2030er Jahren Realität werden, sofern nicht das Frankfurter Fernbahntunnelprojekt nicht noch mehr Verzögerungen für die S-Bahn im Frankfurter Osten, Maintal und Hanau mit sich bringt.

Fazit: Minister Al-Wazir und RMV-Chef Ringat lassen sich seit Jahren mit alten Projekten und abgegriffenen Floskeln in der Öffentlichkeit feiern. Es ist bedauerlich, dass die Öffentlichkeit und die Medien diese Verklärungen nicht in erforderlichem Umfang wahrnehmen bzw. darstellen. Der Fahrgastverband PRO BAHN fordert die Hessische Landesregierung, den Rhein-Main-Verkehrsverbund und die Deutsche Bahn dazu auf, endlich mit wahrhaftigen Darstellungen an die Öffentlichkeit zu treten. Durch transparente, mit haltbaren Terminen veröffentlichte Projektbeschreibungen können die Verantwortlichen ihre Bereitschaft zu signalisieren, mit gesellschaftspolitischen Vertreterinnen und Vertretern, mit den Bürgerinnen und Bürgern, den Fahrgästen endlich in einen guten Dialog einzutreten, so wie das viele andere Bundesländer und das europäische Ausland vormachen.

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