PRO BAHN Hessen sagt: „Reaktivierungsvorstoß 2018 darf keine Eintagsfliege sein“ Weit mehr sinnvolle Einzelprojekte zu Reaktiverung und Wiederaufbau warten in Hessen auf eine Fortentwicklung als die ministerielle Verkündung vom 16.07.2018

Der PRO BAHN Landesverband Hessen sieht es einerseits als ein sehr gutes Zeichen an, dass man für zwei Bahnstrecken die Reaktivierung eingeleitet habe. Andererseits sprechen die Gesamtzahlen eine deutliche Sprache, dass dies auf das gesamte Bundesland gesehen nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist und eine Verkehrswende für alle Hessen damit noch nicht eingeläutet ist. Der PRO BAHN Landesverband Hessen hätte sich schon zum jetzigen Zeitpunkt die Nennung des einen oder anderen weiteren Einzelprojekts erhofft.

Hessen hat überproportional unter dem Rückbau und dem Ausverkauf der Bahn in den letzten 70 Jahren gelitten. In dieser Zeit sind auf dem Gebiet des Bundeslandes Hessen 65% aller Bahnstrecken verloren gegangen, ein Spitzenwert unter den westdeutschen Bundesländern. 95 Bahnstrecken wurden stillgelegt, bis auf wenige wurden die Gleise abgebaut, das entspricht einer Streckenlänge von Gießen bis nach Palermo in Süditalien. Dass von diesen 95 Bahnstrecken mehr als die Hälfte nicht mehr realisierbar ist, diese Realität erkennen auch die Fahrgastvertreter.
In Hessen wurden in den letzten 30 Jahren nur eine durchgängige Bahnstrecke und eine Verlängerung sowie ein Kopfbahnhof außerhalb des S-Bahn-Netzes Rhein/Main reaktiviert bzw. neu aufgebaut, eine der schwächsten Werte aller Bundesländer.

Eine Bestandsaufnahme stillgelegter Bahnstrecken in Hessen, welche Mitte 2016 erstmals erstellt und seither mehrmals fortgeschrieben wurde, geht von 22 Bahnstrecken in Hessen aus, die man mit unterschiedlichen Wertungen als reaktivierbar bzw. wiederaufbaufähig hält. PRO BAHN fragt: Warum sind es nun nur so wenige. In einer Bewertung des Fahrgastverbandes PRO BAHN sieht man eine dieser 22 benannten Strecken als nicht mehr realisierbar an. Demgegenüber stehen als Schwergewicht aus Sicht des PRO BAHN Landesverbandes Hessen aber 9 zusätzliche Strecken aus allen Regionen des Bundeslandes, welche in der aktuellen Fassung der Bestandsaufnahme nicht genannt sind, jedoch unbedingt in die entsprechende Priorisierungsstufe gebracht werden müssen.

Im Hinblick auf diese 30 Einzelstrecken war die Hoffnung gegeben, dass der Hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) im Juli 2018 mehr als die zwei Einzelstrecken als vorrangige Investition sieht und mehr als 4 weiteren Strecken eine Untersuchungschance einräumt. Dass nun von 4 erstrangigen Projekten gesprochen wird, dies ist so nicht haltbar, denn bei dem Abschnitt in Neu-Isenburg und der Trasse zwischen Wiesbaden und Bad Schwalbach handelt es sich nicht um Reaktivierungen, sondern um die Nutzung alter Trassen, welche für völlig andere zentral-urbaneVerkehrssysteme, nämlich die Citybahn Wiesbaden und die Regionaltangente West von Frankfurt. Daher bleiben nur die Lumdatalbahn und die Horlofftalbahn übrig.

Einen Schatten wirft die zeitlich etwa parallel verlaufene Ankündigung des Infrastrukturbetreibers Deutsche Bahn, in Südhessen die Bieberauer Bahn von Reinheim nach Groß-Bieberau, in Mittelhessen die noch vorhandenen Reste der Scheldetalbahn Biedenkopf/Wallau-Dilleburg im Abschnitt Wallau-Breitenbach sowie in Nordhessen die Obere Edertalbahn im Abschnitt Frankenberg-Battenberg stillzulegen, freizustellen, einer anderen Widmung zuzuführen, zu veräußern. Einerseits ist die Bestrebung Schiene wieder aufzubauen, dafür wird an anderer Stelle weiter fleißig abgebaut.

Es soll kein falscher Eindruck entstehen, der Fahrgastverband PRO BAHN freut sich außerordentlich über die nun in die Reaktivierungsphase eintretenden Einzelprojekte. PRO BAHN dankt insbesondere den Akteurinnen und Akteuren der Lumdatalbahn, der Horlofftalbahn und der Aartalbahn für ihre jahrelange bzw. jahrzehntelange unermüdliche Arbeit. Damit die Reaktivierungsidee keine Eintagsfliege bleibt und nach den von ministerieller Seite genannten Projekten in wenigen Jahren schon wieder Schluss ist mit der Reaktivierungsoffensive in Hessen, fordert der Fahrgastverband PRO BAHN folgende Strategiepunkte:

1.) Die seit 2016 bestehende und mehrmals aktualisierte Bestandsaufnahme stillgelegter Bahnstrecken muss dauerhaft regelmäßig/turnusmäßig fortgeschrieben und in den Status analog der verschiedentlichen Leitplanung in der hoheitlichen Aufgabe des Landes Hessen gebracht werden.

2.) PRO BAHN fordert die Einrichtung eines „Beteiligungsforums Streckenreaktivierung und –wiederaufbau“, in welchem neben der politischen Ebene, der Verwaltung und der Aufgabenträgerschaft auch die Fachverbände und insbesondere die lokalen örtlichen Bürgerinitiativen vertreten sind. Hier muss die Fortschreibung der Bestandsaufnahme als Beschlussvorlage entwickelt werden.

3.) Das Thema Reaktivierung darf nun, nachdem ein erster Aufschlag getätigt wurde, im Sommer/Herbst 2018 nicht einfach an die Verkehrsverbünde abgegeben werden, die es dann zu 100% weiter bearbeiten sollen. Das Thema Reaktivierung muss ein politisches und gesellschaftliches Thema bleiben. Verkehrsverbünde haben vornehmlich andere Aufgabenschwerpunkte und sie sind eigentlich nicht für die Abwicklung der Aufgabe gedacht.

4.) Es darf keinesfalls zu weiteren Streckenstilllegungen und dem Abbau bzw. Umwidmung von Bahnverkehrsinfrastruktur kommen. Die Trassen müssen gesichert werden und erhalten bleiben.

5.) Durch die Bekanntgabe des Hessischen Verkehrsministers vom 16.07.2018 darf nicht der falsche Zungenschlag entstehen, dass über diese 4 Bahntrassen bzw. die 4 weiteren Bahnstrecken hinaus nun alle anderen stillgelegten Bahnstrecken niemals mehr untersucht bzw. reaktiviert werden. Die Kommunalpolitik ist schnell dabei, insbesondere in Ortslagen befindliche Trassen in Siedlungsflächen zu integrieren, insbesondere für Gewerbeflächenausdehnungen und die Neuanlage von Straßen zu nutzen. Dies muss unterbunden werden, sofern es die Flächen der durchgängigen ehemaligen Gleisanlagen betrifft.

Der PRO BAHN Landesverband Hessen ist mit seinen Regionalgliederungen zur konstruktiven und sachlichen Mitarbeit bereit, möchte gleichberechtigt an einem in Gang zu setzenden Gestaltungsprozess teilnehmen.

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